Die Bronzefigur auf dem Vorplatz der Kathedrale gegenüber dem Königsportal vermittelt dem Betrachter den Eindruck von einem gequälten Menschen
und man
mag sich fragen, weshalb
der Bildhauer, Bernard Damiano, Bischof Fulbert so dargestellt hat.
IHN,
den einflussreichen Bischof,
auf den maßgeblich der Wiederaufbau der Kathedrale
und auch deren Reputation
in der
christlichen Welt zurückzuführen ist;
IHN,
den Sokrates des Mittelalters;
IHN,
der in der Hagiographie üblicherweise
als großer
Gelehrter , als weiser Lehrer,
als stattlicher
Kirchenfürst und Mann des Friedens, glatt,
schön und
imposant gezeigt wird.
Nun, Damiano
zeigt uns den wahren Fulbert ,
einen in der Tat gequälten Mann
mit einem kreidebleichen,
hageren Gesicht
und geschwollenen,
fast
wulstigen Augen.
Einen Mann, der von einer schlimmen, schmerzhaften, fast unheilbaren Krankheit gezeichnet war, dem sogenannten " Antoniusfeuer ".
Man muss sich mal vorstellen, in dem öffentlichen Amt eines Bischofs
ständig mit schmerzhaften Krämpfen,
Durchfällen,
Erbrechen und gar
mit Halluzinationen geplagt zu sein ..... das ist nicht so einfach ,
das bleibt auch nicht lange im Verborgenen.
Hinzu kam,
dass man ihm dadurch auch Misstrauen entgegen
brachte,
der Teufel hätte ja seine Finger mit im Spiel haben können.
Zu der damaligen Zeit wurde einem schnell was nachgesagt und man landete schnell mal auf dem Scheiterhaufen - auch für weniger aufregende Dinge.
Nun war Fulbert aber
nicht irgendwer.
Er galt als der gelehrteste
Mann des Jahrhunderts,
durch seine Lehrtätigkeit zählte die Kathedralschule
von Chartres zu den
berühmtesten seiner Zeit.
Er war Berater
von Prinzen und
Königen, also ein
einflussreicher
und bedeutender
Mann.
Er war der Vorzeigebischof
schlechthin, galt als integer und gewissenhaft, auch das war damals
bei weitem nicht bei Jedermann,
auch nicht seines Ranges, der Fall.
Es galt seinen guten Ruf
zu verteidigen.
Man konnte nicht zulassen,
dass das Bild der Heiligen Kirche in Schieflage geriet.
Er schuftete wie der Leibhaftige,
um genügend Spendengelder
für die Finanzierung der
neuen Basilika, von der heute
noch die Krypta zu sehen ist, zusammenzubringen.
Er verstand es die Gönner und Sponsoren bei der Stange zu halten.
Böswillige Gerüchte konnte man keinesfalls gebrauchen, das hätte sicher auch zu einer geringeren Spendenbereitschaft geführt und, die Kathedrale war noch nicht vollendet. Man mußte sich etwas einfallen lassen.
Gemeinsam mit Fulbert wurde
beratschlagt.
Schlussendlich entschied man sich
für die spektakulärste Geschichte,
frei nach dem Motto:
- Je dicker man aufträgt,
um so wahrer wird es - und
verbreitete die Nachricht:
"Die Jungfrau Maria sei
höchstpersönlich vom
Himmel herabgestiegen
und habe Fulbert
ein paar Tropfen ihrer Milch
auf seine Lippen geträufelt
und ihn so von seiner Krankheit geheilt".
Und schon war eine Legende geboren
und wurde auf das Kirchenfenster
geschrieben.
Fulbert’s Krankheit ist heute
unter dem wissenschaftlichen Namen
"Ergotismus" bekannt.
Es handelt sich
um eine Vergiftung infolge
des Verzehrs von Roggen,
der mit dem Mutterkornpilz
verunreinigt war.
Im Mittelalter aß man eher
Roggen- als Weizenbrot.
Es kam nicht selten vor,
dass schon die Getreideernte
im Sommer ihre Opfer forderte.
Wer nicht verrückt wurde
oder auf dem Friedhof landete,
versuchte es
mit einer Pilgerfahrt nach
St. Antonius im Isere.
Dort gab es keinen
Getreideanbau und die Kranken wurden
schnell gesund.
Man schob die wundersame Heilung aber natürlich der Intervention des
Heiligen Antonius zu.